Wir brechen am nächsten Morgen zeitig auf, denn vor uns liegen etwas mehr als vier Stunden Fahrt in den Nordwesten Albaniens. Unser Ziel ist die über 2400 Jahre alte Handelsstadt Shkodra (alban. Shkodër).
Wir klettern in unseren Bus und fahren die Küstenstraße hinaus aus der Stadt. Auf dem Weg erhaschen wir noch einen wunderbaren Blick zurück auf die Altstadt.
Nach ein paar Kilometern biegen wir ab, und die Straße schraubt sich sanft in die Höhe Richtung Grenze, als Christoph mich darauf hinweist, dass wir kein Bargeld mehr haben.
Siedendheiß fällt mir ein, dass ich seinen Hinweis gestern schon zweimal ignoriert hatte. Wir haben noch circa zehn Euro und in Albanien ist Bares wahres.
Während ich noch überlege, ob wir in Shkodra einen Geldautomaten suchen, erreichen wir einen kleinen Ort, eher ein Industriegebiet, mit zwei großen Einkaufsmärkten. Gleich im ersten findet sich der ersehnte Geldspender.
Nach kurzer Fahrt kommen wir an die Grenze. Ich schnappe mir die Telefone und schalte alle Datenfunktionen aus, als ich realisiere, dass wir an einer anderen Grenze stehen, als ich dachte. Vor uns liegt Bosnien-Herzegowina.
Merkwürdig, ich hatte mit Montenegro gerechnet. Ein genauerer Blick auf die Karte zeigt mir meine geographische Unkenntnis deutlich auf. Ich schlage hektisch in unserer Online-Planungsliste die Einreisebedingungen für Bosnien nach. Die hatte ich zum Glück mal recherchiert, als unsere Reiseroute noch nicht fest stand. Alles wie in Montenegro: Ausweis und deutscher Führerschein, grüne Versicherungskarte ausreichend. Ich atme durch.
Als wir Kroatien verlassen, zeigen wir die Personalausweise vor. Bei der Einfahrt nach Bosnien-Herzegowina allerdings bittet die Grenzbeamtin auch um Fahrzeugpapiere und Christophs Führerschein. Erneut bricht Hektik aus.
Nach kurzem Suchen finde ich den Fahrzeugschein in meiner Tasche und reiche der Beamtin gleich noch die grüne Versicherungskarte. Reine Ablenkung, die aber nicht funktioniert. Sie erbittet erneut freundlich den Führerschein.
Ich frage meinen Mann, ob schon viele Autos hinter uns stehen, während er aufgeregt durchs Auto hüpft und sein Portemonnaie sucht. Ich merke, dass er nervöser wird. Ich überlege, ob einfach ein Führerschein reicht, also auch meiner, da schnauft Christoph auf und hält seinen in die Höhe. Ich verdrehe die Augen. Geldbörse suchen ist nämlich eine seiner Lieblingsbeschäftigungen. Wir entschuldigen uns, aber die Grenzbeamtin ist entspannt und zum Glück wartet auch niemand hinter uns. Wir Profi-Globetrotter rollen weiter.
Da wir uns außerhalb der EU befinden, navigiere ich anhand von Google Maps-Screenshots durch grüne, hügelige Landschaften. Wir blicken in weite Täler und finden diesen südlichen Zipfel Bosniens sehr schön. Hätten wir unsere Balkantour ausführlicher planen sollen? Mit Abstechern auch in den Kosovo? Es gibt so viele tolle Orte zu erkunden.
Ich beschließe, die Frage aufzuschieben für meine nächste Reisplanung und mir lieber die Gegend anzusehen, da bremst mein Mann an einem Straßenstand. Er legt den Rückwärtsgang ein und wir halten an einem Regal mit Honig. Der allerdings ist nicht sein Ziel. Christoph hat eine Batterie Bienenstöcke gesehen, ein Fotomotiv, das mit muss. Kurze Zeit später ist Christoph wieder im Wagen und es geht weiter durch kleine Orte und weites grünes Land.
Wieder eine Stunde später stehen wir vor der nächsten modernen und imposanten Grenzanlage. Die allerdings ist ohne jegliche Beschriftung und Beflaggung. Mit uns warten drei weitere Autos und zwei LKWs. Ein kurzer Moment und wir fahren nach Montenegro ein.
Auf der Weiterfahrt stellen wir fest, wie wenig wir über diese Balkanstaaten wissen, über ihre politischen Verhältnisse zueinander und wo sie wirtschaftlich heute stehen. Da wir uns außerhalb des EU-Roamings befinden, verkneifen wir uns das Recherchieren von Online-Fakten nebenbei. So hatten wir es auf vorherigen Fahrten gemacht, wenn die Gedanken anfingen zu laufen.
Unsere Navigation per Screenshot funktioniert auf Grund der wenigen Straßen und der Ausschilderung der größeren Orientierungspunkte gut. Uns so kommen wir nach zwei weiteren Stunden an die letzte Grenze unserer heutigen Überfahrt. Um es gleich vorweg zu nehmen. Ich war noch nie in Albanien. Und ich freue mich auf dieses Land.
Direkt nach dem Grenzbaum wird eine neue, andere Welt sichtbar. Uns begegnet eine Mischung aus Pferdekutschen und gepflegten, vorwiegend deutschen Oberklasse-Limousinen und frei laufenden Ziegen. Und es gibt in jedem Ort unzählige kleine Autowaschplätze. Wir sind verdutzt. Lieben die Albaner:innen ihre Autos noch mehr als die Deutschen? Oder ist es die beste Möglichkeit ohne große Mittel Geld zu verdienen?
Unser heutiges Ziel Shkodra kommt in Sicht. In der Stadt ist ein Gewusel aus Autos, Lastern, Bussen und viele Fahrradfahrer:innen unterwegs, die alle bevorzugt gleichzeitig nebeneinander in die zahlreichen Kreisverkehre einfahren. Da aber doch jeder Rücksicht walten lässt, geht es trotz des regen Verkehrs entspannt zu.
Wir halten am Straßenrand und wechseln erst einmal Euro in albanische Lek. Dann halten wir Ausschau nach dem nächst gelegenen Vodafone-Shop. Christoph hat recherchiert, dass es für Albanien ein 35-GB-Tourist-Pack gibt, das wir nutzen wollen. So ausgestattet suchen wir uns einen Stellplatz am südlichen Ende der Stadt und richten uns ein.
Da es noch recht früh am Nachmittag ist, machen wir uns auf zur nahe gelegenen Festung Rozafa und zur Bleimoschee. Beide nur wenige Minuten fußläufig von unserem Stellplatz entfernt.
Nach einem kurzen, aber sehr steilen Marsch an den Fuß der Burg stellen wir fest, dass diese bereits geschlossen hat. Wir kehren um und setzen uns in ein nahegelegenes Café, um den nächsten Tag zu planen, denn wir wollen ab jetzt unsere Reiseberichterstattung um YouTube-Filme ergänzen. Und so endet unser erster Tag in Albanien.
Am nächsten Morgen lassen wir es langsam angehen und sortieren erst einmal unsere Filmausrüstung. Ich genieße einen Tee und Christoph spielt ein bißchen Gitarre, bevor wir in den Tag starten.
Wir nehmen einen zweiten Anlauf zur Festung Rozafa, zahlen 400 albanische Lek Eintritt pro Person und erkunden das Innere.
Über die Festung geht die schaurige Legende, dass sie von drei Brüdern erbaut wurde. Jedoch stürzten ihnen die Mauern, die sie am Tag erreichtet hatten, des Nachts wieder ein. Eines Tages gab ihnen ein alter Mann den Rat, dass eine Frau mit eingemauert werden müssen, damit die Wände halten.
Eines Tages gab ihnen ein alter Mann den Rat, dass eine Frau mit eingemauert werden müssen, damit die Wände halten. Die drei Brüder entschieden, eine ihrer Ehefrauen zu opfern. Allerdings tricksten die Älteren den Jüngeren aus, indem sie ihre Ehefrauen warnten. So erschien am nächsten Tag nur Rozafa, die Frau des jüngsten Bruders, zum vereinbarten Treffpunkt. Diese nimmt ihr Schicksal an und bittet nur darum, dass ein Arm, ein Bein und eine Brust von ihr nicht eingemauert werden, damit sie ihr Neugeborenes stillen und streicheln und mit dem Bein die Wiege bewegen kann. Eine traurige Geschichte, aber eine schöne Burg.
Wir gehen weiter in die zwei Innenhöfe der Burg, die einen schönen Blick bieten auf die Stadt und die umliegenden Berge. Von hier können wir sehen, dass rund um die 1773 errichtete Blei-Moschee gerade gebaggert und gebaut wird. Da ein Zugang nicht möglich scheint, entscheiden wir in den nördlichen Teil der Stadt zu fahren zur Rruga Kolë Idromeno. Diese Fußgängerzone und die umliegenden Straßen sind das bunte und lebhafte Zentrum der Stadt. Es gibt unzählige Cafés und Bars in denen man draußen sitzen kann.
Wir finden neben der katholischen Stephanskathedrale von 1851, dem zweiten Wahrzeichen der Stadt, und der zentralen Ebu Bekr Moschee in einer Seitenstraße noch eine orthodoxe Kirche. Hier scheinen die Religionen friedlich nebeneinander zu existieren, so wie wir es auch in den unterschiedlichen Portalen gelesen haben.
Wir drehen noch eine Runde durch die Nebenstraßen und steigen dann in unseren Pössl Kastenwagen, um die Reise in Richtung Koman-Stausee und Albanische Alpen fortzusetzen.