Wir kommen gegen Mittag an der kasachisch-usbekischen Grenze an und sehen bereits von Weitem zwei lange Schlangen. Eine bestehend aus LKW und eine mit bis ans Maximum beladener Autos. Wir schauen uns ratlos an und reihen uns ein.
Es ist heiß. Die Autoschlange bewegt sich wenig bis gar nicht und die Stunden vergehen. Uns fällt auf, dass hier nur usbekische und russische Pkw mit uns warten. Die kasachischen Autos scheinen links an den LKW vorbei nach ganz vorne zu fahren. Wir steigen aus und sehen uns um, laufen ein Stück vor, können uns aber keinen Reim darauf machen, warum es nicht weiter geht.
Wir steigen wieder in unseren Van und richten uns gedanklich schon auf eine Nacht an der Grenze ein, als es klopft. Ein großer, schlanker Mann weist uns mit Hilfe der Übersetzungs-App darauf hin, dass Touristen nicht warten müssen, sondern nach vorne ans Tor fahren können. Wir schauen uns an und überlegen. Zum einen ist der Weg nach vorne durch die LKW blockiert. Zum anderen malen wir uns die Reaktion der anderen Wartenden aus, falls Touristen mitnichten bevorzugt behandelt werden und wir wieder zurück in die Schlange wollen. Wir entscheiden uns, die neu erworbene Information am Grenztor abzuklären.
Ich klemme mir die Papiere unter den Arm und marschiere los. Am Tor stehen eine Gruppe Männer und ein kasachisches Auto. Nach ein paar Minuten taucht ein Grenzbeamter auf, der sofort von den Männern in ein Gespräch verwickelt wird. Ich warte zunächst ab. Da meine bloße Existenz keine Aufmerksamkeit erregt, stelle ich mich in die Männerrunde.
Als der Grenzbeamte aufschaut, erkläre ich ihm, dass wir Touristen sind, und frage, ob wir mit dem Auto hier vorne hin fahren können. Die Einheimischen nicken. Touristen, ja klar. Der Grenzbeamte bedeutet mir, ans Tor zu fahren. Das lasse ich mir nicht zweimal sagen und laufe zurück zu Christoph und Puschel. Dort angekommen, bedanken wir uns bei dem Einheimischen, der uns den Tipp gegeben hat.
Er strahlt als er hört, dass seine Information richtig ist, und er uns helfen konnte. Christoph bugsiert das Auto irgendwie zwischen den LKW durch und wir fahren zum Tor, nach sieben Stunden Wartezeit.
Das Grenztor öffnet sich nach ein paar Minuten, wir fahren durch und direkt auf ein großes, verglastes Gebäude zu, vor dem wir parken. Dann gehen wir hinein.
Zunächst müssen wir an den Schalter für den Autoimport. Dort werden unsere Fahrzeugpapiere geprüft und die Einfuhrgenehmigung der russischen Zollunion eingezogen, die wir bei der Einreise nach Russland erhalten hatten. Dann geht es weiter zur Passkontrolle. Hier steht eine Traube aus Menschen, doch als uns der Grenzbeamte sieht, winkt er uns nach vorne. Wir erhalten unsere Ausreisestempel und gehen zurück zu unserem Van.
Weiter geht es zur Fahrzeugkontrolle, die rechter Hand liegt. Zwei kasachische Beamte schauen sich kurz im Wagen um, lassen sich die Badtür öffnen und die Heckgarage, um sicher zu gehen, dass niemand sonst an Bord ist, dann rollen wir auch schon zum Ausgangstor. Mittlerweile ist es dunkel geworden. Wir warten mit ein paar anderen Autos, bis sich ein weiteres Tor öffnet und fahren aus.
Ein Niemandsland zwischen der kasachischen und der usbekischen Grenze gibt es nicht. Direkt vor uns sind zwei Fahrspuren, abgegrenzt mit hohen Betonpollern. In der linken Bahn erkennen wir trotz Dunkelheit eine Senke mit schlammig grauem Wasser. Dort können wir unmöglich durch. Die rechte Bahn allerdings ist bereits voller Autos. An uns vorbei schiebt sich ein kasachischer PKW in die linke Bahn. Also entscheiden wir uns, doch für die linke Bahn und fahren hinterher bis vor die Wasserpfütze. Vor uns steht ein weiteres großes Metalltor, dass sich nur ab und zu für Fußgänger:innen öffnet.
Am Tor versammelt sich eine Gruppe Männer. Wir vermuten, es sind die Fahrer der umliegenden Fahrzeuge und steigen ebenfalls aus. Und warten. Einlass finden weiterhin nur Fußgänger:innen, bis plötzlich die Fahrer ebenfalls eingelassen werden. Christoph verschwindet hinter dem Tor, ich warte weiter und sehe ihn ab und zu zwischen den Schaltern hin und her laufen. Nach und nach kommen die anderen Fahrer wieder. Christoph bleibt verschwunden. Nach weiteren 20 Minuten öffnet sich das Tor. Wer kann, fährt durch, allerdings blockieren einige Fahrzeuge die Durchfahrt, deren Fahrer noch an den Schaltern stehen. So auch unseres. Als die Beamten dies bemerken, schicken sie uns zu unserem Auto, um einzufahren, was wir nur zu gerne machen.
Christoph ist genervt. Er wird im Schlepptau eines Beamten, der offensichtlich nicht weiß, was er mit dem ausländischen Touristen machen soll, von einem zum anderen Schalter geschickt. Mittlerweile ist es 23 Uhr. Christoph versucht weiter den Autoimport zu klären. Ich gehe zum Van und mache uns etwas zu Essen. Dabei beobachte ich, wie um mich herum sämtliche Waren von den vollbepackten Autos geladen und zum Zoll getragen werden.
Irgendwann steht Christoph wieder im Türrahmen und erzählt mir, dass die Rechner ausgefallen sind. Wir essen erst einmal, bevor wir beide zum Schalter gehen. Ein Grenzbeamter teilt uns mit, dass auf Grund es Rechnerausfalls kostenpflichtige Kopien von unseren Pässen gemacht werden müssen. Wir gucken irritiert. Auch die Desinfektion soll bezahlt werden. Welche Desinfektion, fragen wir uns? Der Beamte weist uns auf die Schlammpfütze vor dem Grenztor hin. Wir sind uns ziemlich sicher, dass er versucht, Geld zu verdienen. Aber welche Wahl haben wir? Usbekische Som haben wir noch nicht. Kasachische Tenge nicht mehr. Wir gehen mit ihm zu einem von ihm deklarierten „Bankschalter“ und legen in Ermangelung kleiner Scheine einen 50 Euroschein in den Pass und sind sicher, den sehen ihn nie wieder. Nach einigen Minuten kommt der Grenzbeamte mit unseren Pässen, den Kopien und dem Geldschein zurück. Wir wundern und freuen uns. Der Beamte dringt noch einmal auf die Zahlung der Kopien. Wir schauen unschuldig, zucken mit den Achseln und weisen noch einmal darauf hin, dass wir kein Geld haben. Er geht wortlos mit uns zurück zum Autoimport. Die Papiere werden ausgestellt und wir können einreisen. Es ist 0:30 Uhr.
Direkt nach dem Grenztor treffen wir auf eine staubige, wellige Piste. Rechts liegen ein paar Läden und Restaurants. Wir können uns im Dunkeln schlecht orientieren. Was ist Straße, was ist Parkfläche? Wir stellen unseren Van neben ein paar LKW ab und laufen zurück. Recht schnell werden wir von mehreren Männern angesprochen, ob wir Geld wechseln wollen. Die Kurse sind im Vergleich zum Internetkurs schlecht, zudem wollen sie mindestens 100 Euro wechseln. Wir winken genervt ab.
In einem der Restaurants wird uns eine Autoversicherung für 20 Euro angeboten. Der Verkäufer weist uns mehrfach darauf hin, dass die Polizei streng kontrolliert und wir keine 5 Kilometer ohne Versicherung fahren können. Die Drohungen bewirken aber eher, dass wir keine Lust haben, bei ihm zu kaufen. Als wir dann noch in der App iOverlander sehen, dass Versicherungen für vier Wochen eher 5 bis 7 Euro kosten sollen, wird der Händler aggressiv. Wir beschließen, schlafen zu gehen. Morgen ist auch noch ein Tag. Es ist 1:30 Uhr.
Bei Sonnenschein sieht ja bekanntlich alles anders aus. Als wir aufwachen, ist es bereits brütend heiß im Van. Der Platz vor unserer Tür ist immer noch eine riesige Sandpiste, aber wir entdecken zwei weitere Restaurants mit angeschlossenen Hotels. Dorthin gehen wir. Im ersten können wir 50 Euro tauschen. Dann sehen wir uns weiter auf dem Platz um. Wir entdecken einen grünen Container mit einem Banner für Fahrzeugversicherungen. Ein routinierter Mitarbeiter verkauft uns dort eine Autopflichtversicherung für 4 Wochen für umgerechnet 8 Euro.
Jetzt noch eine SIM-Karte, denken wir uns und ziehen weiter zu den anderen Läden. Eine Frau spricht uns an. Leider funktioniert ihre Karte nicht in unserem Router und wir entschließen uns, zunächst ohne SIM-Karte loszufahren. Es gibt eh nur eine Straße in die nächste Stadt. Wir passieren eine endlose Schlange LKW, die in der Gegenrichtung auf den Grenzübertritt warten und erinnern uns mit grausen an die letzte Nacht. Schnell weg.
Unsere Entscheidung, die direkte Route von Kasachstan über Xiva nach Buchara zu nehmen, spart uns fast 2.000 Kilometer. Der Nachteil: die Qualität der Straße auf dieser Strecke ist die ersten 200 Kilometer so katastrophal, dass wir nur im Schritttempo voran kommen. Schotter und alter Asphaltbelag mit riesigen Schlaglöchern wechseln sich regelmäßig ab.
In Jasliq finden wir einen Bankautomaten und ziehen usbekische Som, bevor wir abseits der Hauptstraße einen schönen Schlafplatz in der Wüste entdecken.
Leider fängt es in der Nacht an, heftig zu regnen. Wir raffen unsere Sachen zusammen und verlassen unseren Wüstenplatz, da uns der Untergrund hier nicht mehr geheuer ist. Ein paar Kilometer weiter finden wir eine verdichtete Schotterfläche. Nicht so idyllisch, aber nervenschonender.
Am nächsten Morgen lassen wir uns weiter auf der Schotterpiste durchrütteln. Nach 180 Kilometern belohnen wir uns im schönen Café Dinur mit kalten Getränken und einem leckeren Snack. Und es gibt Wifi. Ab hier wird die Straße besser.
Da wir uns in Usbekistan alle drei Tage über ein Hostel registrieren müssen, steuern wir Kungirot an.
In der Nähe des Bazar ist ein Telefonladen mit zwei engagierten Frauen, die mir ein großes Datenpaket bei Ucell für umgerechnet 8,50 Euro verkaufen. Wir sind online.
In der Stadt quartieren wir uns in einem Guesthouse ein. Hier können wir mit Puschel im Innenhof stehen, in Ruhe unseren Van sauber machen, drei Maschinen Wäsche waschen und etwas zur Ruhe kommen. Der anstrengende Grenzübertritt steckt uns noch in den Knochen.
Nach dem kurzen Halt soll es für uns weiter gehen nach Moynak. Aber zunächst einmal müssen wir tanken. Gleich an der ersten Tankstelle etwas außerhalb von Kungirot finden wir Diesel. Wir machen den Tank voll und fahren weiter Richtung Aralsee.
Die Straße dorthin allerdings ist so schlecht, dass wir nur im Schneckentempo voran kommen und eine Übernachtung einplanen müssen. Mit dem Mausoleum von Ajiniyaz Kosibay, einem der wichtigsten Poeten Usbekistans, entdecken wir einen schönen Spot und entscheiden uns, hier zu übernachten.
Am nächsten Morgen rollen wir den Rest der Strecke weiter, und schon bald begrüßt uns ein typisches, auffällig gestaltetes Ortseingangsschild. Im Ort fahren wir zuerst zu einer öffentlichen Wasserstelle, die allerdings versiegt ist. Ein zufällig vorbei fahrender Usbeke in einem weißen Auto gibt uns zu verstehen, dass wir ihm folgen sollen. Da in Usbekistan gefühlt 80 Prozent aller Autos weiße Chevrolets sind, ist das gar nicht so einfach. Bei ihm Zuhause angekommen, kümmert sich die ganze Familie darum, uns mit Wasser zu versorgen. Wir bedanken uns herzlich und rollen weiter Richtung Aralsee, der den Kampf um das Wasser je bekannter Maßen bereits verloren hat.
Der Aralsee war laut Wikipedia ein großer Salzsee zwischen Kasachstan und Usbekistan und mit ursprünglich rund 68.000 qkm bis Anfang der 1960er Jahre der viertgrößte Binnensee der Erde. Die Betonung liegt auf war, denn unter Stalin wurden zwischen 1929 und 1953 große Wassermengen für den Anbau von Baumwolle entnommen. So zerfiel der See in mehrere kleinere Teile und verlandete zur Wüste.Heute umfasst die Wasserfläche von ehemals 68.000 qkm etwas über 8.000 qkm.
Die noch 1960 am Ufer gelegenen Städte Aral (Kasachstan) und Muynak (Usbekistan) liegen heute 30 bzw. 80 Kilometer entfernt von der Uferlinie. Bis zur politischen Öffnung der beiden ehemaligen Sowjetrepubliken kannten lediglich Wissenschaftler, hohe Beamte und die Bewohner die ökologischen Probleme des Sees. Kasachstan hat angefangen, den nördlichen Aralsees zu renaturieren. Da die AralseeteileKasachstans und Usbekistans aber zusammenlaufen, kann das Projekt nur gelingen, wenn beide Länder kooperieren.
In gedämpfter Stimmung machen wir uns auf den Rückweg nach Kungirot. Unsere nächste Station heißt Xiva. Die Straßen ab hier werden deutlich besser, so dass wir schnell voran kommen. Wir übernachten frei etwas abseits der Schnellstraße in einem kleinen Ort. Am nächsten morgen machen wir noch einen Abstecher zur Nekropole Mizdakhan.
Auf dem Weg nach Xiva halten wir in Mizdahkhan an, das früher zu Persien gehörte und heute eine Nekropole ist, also eine reine Begräbnisstätte. Früher, im 2. bis 4. Jh. v. Chr., war der Ort bewohnt, und es lebten vorwiegend Zoroastrier hier, Anhänger der Lehre Zarathustras. Mutmasslich soll hier das Grab Adams liegen, über dem ein Mausoleum errichtet wurde. Die Legende sagt, dass, wenn der letzte Stein aus diesem Mausoluem gefallen ist, die Welt untergehen wird. Die Pilger errichten daher kleine Türme aus den Backsteinen, um dies zu verfhindern. Wir haben natürlich mitgeholfen.
Am Abend erreichen wir die Oasen-Stadt Xiva. Wir parken für die Nacht direkt an der Stadtmauer.
Am nächsten Morgen spüren wir bereits am Eingang zur Altstadt wir das Flair der Seidenstraße. Die Oasenstadt begeistert uns mit ihren Farben, mit ihrer Architektur. Bis heute prägen fliegende Händler das Stadtbild, die Waren aus Seide, Keramik und Holz anbieten, genauso wie Erfrischungen für die müden Reisenden, und damit die Tradition am Leben erhalten.
Auf Grund der geschlossenen Altstadtstruktur kann man in den Ort eintauchen und sich treiben lassen. Wir laufen durch die Gassen und sind verzaubert, können uns gar nicht satt sehen.
Die Fülle an Mustern und Farben in Xiva haben es uns angetan. Ob Medresen, Paläste oder Moscheen, die in Türkis, Aquamarin, Smaragd oder Kobalt leuchten. So schön und so opulent.
Wir besuchen die Dschuma Moschee, deren Flachbalkendach auf 213 geschnitzten Holzsäulen ruht, die in einem Raster von 3,15 Meter auf 3,15 Meter angeordnet sind. Erbaut wurde sie im 18. Jahrhundert. Es geht weiter zur Allakuli Khan Medrese, zu der neben den Studentenkammern, eine als Tim bezeichnete Einkaufspassage, eine Karawanserei, ein Hörsaal und eine öffentliche Bibliothek gehören. Nach einer kurzen Verschnaufpause besuchen wir das Palawan Mahmud Mausoleum, das dem Dichter und Sufi-Lehrer gewidmet ist, der in Usbekistan als Heiliger verehrt wird.
Der Tosh Hovli Palast, zu deutsch steinerne Palast, ist von einer hohen Mauer umgeben und beherbergt sieben Innenhöfe. Er besteht aus drei eigenständigen Teilen und zwei separaten Eingängen. In einem Innenhof befindet sich die Filzjurte des Khans, in der nomadische Gäste empfangen wurden.
Wir sind dann noch zum Nurullaboy Palast gelaufen, etwas außerhalb des alten Stadtkerns. Der Palast wurde im 19. Jahrhundert im Auftrag des Khans geplant und entstand auf Grund seiner Größe in den Jahren 1904 bis 1912 außerhalb der Stadtmauern. Insbesondere bei der Innenausstattung ist europäischer Einfluss sichtbar. Viele Arbeiten wurden von deutschen Handwerkern ausgeführt.
Er ist die letzte Station unseres Besuchs in der Unesco-Welterbe-Stadt Xiva. Uns zieht es weiter nach Buchara.